Im Kino
Gerade war ich im Kino. Les Misérables.
Nach fünf Minuten Film habe ich mich gefragt: Singen die jetzt die ganze Zeit, oder was? Die Antwort: Ja. Hundertsechzig Minuten Gesang, Geträller und Dramatik. Überwiegend Geträller und Dramatik. Gegen Dramatik habe ich nichts einzuwenden, wenn sie nicht zu dramatisch, sondern ernst zu nehmen ist. Gegen Leinwandgeträller hingegen habe ich Einwände. Frauchen, die selbst ihr letzen Atemzug noch singend dahin hauchen, selbstverständlich im harmonischen Duett mit der geheimen/ großen/ wahren Liebe, will ich mir nicht anschauen.
Deshalb mache ich um sogenannte "Musicalfilme" - welch ein Wort, entweder ist es ein Film oder ein Musical, eine Mischung kann leicht misslingen und sollte deshalb vermieden werden - meist einen großen Bogen. Ausnahme: Sweeney Todd, aber der ist von Tim Burton und mit Johnny Depp, das ist also was völlig anderes.
Heute gab es keinen Johnny Depp, sondern stattdessen französische Namen und Wörter, missbraucht von der englischen Sprache, die wiederum lieblos und nachlässig in deutsche Untertitel gezwängt wurde.

Aber ich bin es selbst schuld. Selten gehe ich ins Kino ohne mich davor zu informieren, wofür ich mein Geld ausgeben werde. Heute war dies allerdings der Fall und daraus habe ich gelernt. Obwohl: Hätte ich mich vorher informiert, wäre ich vermutlich trotzdem rein gegangen.
Weil der Film mehrere Oscars bekommen hat und weil die Besetzung so schön hochkarätig ist, wobei das gewiss miteinander zusammenhängt. Russell Crowe als hasserfüllter Bösewicht, der sich letztendlich singend in den Tod stürzt, da er erkennt, dass er Hugh Jackman gar nicht mehr hassen kann, weil dieser ihm das Leben gelassen hat (lange Geschichte), ist wirklich gut, zugegeben, und bei seinen Liedern habe ich im Gegensatz zu den anderen nicht den Wunsch verspürt, sie mögen schnell zu Ende gehen. Helene Bonham Carter ebenfalls hervorragend, wie immer eigentlich, sie und ihr Kompagnon Sacha Baron Cohen, der mir bisher noch kein Begriff war, bringen wenigstens ein paar Lacher in den Film, der sich ewig hinzuziehen scheint. Noch ein Lied. Und noch ein Lied. Und noch eins.

Hätte ich mich vorher informiert, hätte ich gewusst, dass Eddie Redmayne eine wichtige Rolle spielt. Und dann hätte ich den Film um jeden Preis sehen wollen, ja, den Überlängenzuschlag hätte ich sogar mit einem Lächeln auf den Lippen bezahlt. Eddie Redmayne, ich kannte ihn als rothaarigen Hexensohn aus Die Säulen der Erde, finde ich großartig. Ich mag ihn, egal, wie viel er singt. Noch dazu ist er in diesem Film ein wahrer Held. Ein Held, der als Einziger überlebt, während all seine Freunde und auch das dunkelhaarige Mädchen, das ihn schon viel länger kennt und liebt als seine Liebe auf den ersten Blick, für ihr Ideal sterben. Er überlebt, weil Hugh Jackman, der Ziehvater der Liebe auf den ersten Blick, ihn rettet. Der Held überlebt also und macht sich nur kurz Vorwürfe, weil alle anderen nur er nicht ihr Leben aufgegeben haben für ihr Ideal, denn eigentlich ist nicht das Ideal das Ideal, sondern das Sterben für das Ideal ist das Ideal.
Von den trüben Gedanken und Selbstvorwürfen lenkt ihn nämlich seine Liebe auf den ersten Blick ab, das blonde Mädchen, das er gestern zum ersten Mal gesehen hat und morgen schon heiraten wird. Amanda Seyfried, die auch schon in Mamma Mia! ihr Geträller zum Besten geben konnte, mag ich ja jetzt nicht so und nicht bloß deswegen, weil sie ihn heiratet und nicht ich, auch wenn das natürlich ausschlaggebend ist. Das Blonde siegt, der Held lebt und - um die Dramatik nich zu kurz kommen lassen - der Ziehvater stirbt am Tag der Hochzeit und findet endlich seinen Weg in die Arme der toten Mutter seiner Ziehtochter, Anne Hathaway, der kurze Haare sehr gut stehen.
Tränen, Gesang, Abspann.

Ich bleibe sitzen und frage mich: Haben die jetzt tatsächlich den ganzen Film gesungen? Und ich habe es ertragen? Die Antwort: Ja.


tausendnull am 08.Mär 13  |  Permalink
Einwände gegen Leinwände
Die Säulen der Erde wurde verfilmt? Ich lebe hinterm Mond. Aber Les Miserables brauche ich mir nun auch nicht mehr anzusehen. Musicalfilme *lesen* reicht völlig. :-)

ebee am 14.Apr 13  |  Permalink
Ja, wurde verfilmt, sogar sehr gelungen, wie ich finde, als vierteiliger Fernsehfilm. "Die Tore der Welt" genauso mittlerweile, aber den habe ich noch nicht gesehen, Fortsetzung folgt vielleicht. ;-)

mayhem am 11.Mär 13  |  Permalink
das ist jetzt zwar etwas off topic, aber ich mag ja deinen/Ihren schreibstil sehr gerne.

ebee am 14.Apr 13  |  Permalink
Komplimente sind nie off topic. :-D
Und das von der Bloggerin, deren Texte ich mit am Liebsten lese - wow, danke.

mayhem am 18.Apr 13  |  Permalink
den zweiten teil kann ich so zurückgeben, dein blog ist einer von denen, die ich wirklich regelmäßig lese. nur mit dem kommentieren hab ichs nicht so :D
aber das funktioniert auch im realen leben nicht immer gut. reden, mit anderen leuten auch noch. gruselig. ^^

ebee am 19.Apr 13  |  Permalink
Reden ist lästig. Meistens.

mayhem am 22.Apr 13  |  Permalink
ich würde eher auf "manchmal" runter reduzieren(auch, wenn verständnis ohne worte wohl so ziemlich die idealvorstellung sein dürfte).

vermutlich liegt das aber daran, dass ich gerade das, was eigentlich gesagt werden müsste, oft nicht aussprechen kann. (Und darum schreibe ich einen blog und werfe mein halbes seelenleben und meine verkorkste persönlichkeit ins pseudoanonyme internet :D)
oder ich bin doch gnadenlose optimistin.

ebee am 29.Apr 13  |  Permalink
Gnadenlose Optimistin, daran wird es vermutlich liegen. ;-)

Ich finde reden lästig, weil ich selten das sage/ sagen will, was ich denke. Ich will aber auch nicht immer gar nichts sagen, also muss ich mir was anderes überlegen. Das ist anstrengend. ^^

mayhem am 29.Apr 13  |  Permalink
irgendwann wird man optimist, oder wahnsinnig, gelegentlich auch beides, dann ist das leben wenigstens interessant.

das kann ich mir vorstellen. vielleicht liegt es aber teilweise (auch)an den falschen gesprächspartnern? mit ziemlich vielen leuten, die ich kenne, mag ich nicht gerne reden und tue es auch nicht. mit ein paar wenigen funktioniert das von ganz alleine und man/ich redet/rede freiwillig, bzw es ergibt sich von selbst ein thema,ohne, dass man sich anstrengen muss.