Die beste Freundin ruft an. Die beste Freundin, die sich selbst dazu ernannt hat, sich selbst diesen Titel gegeben hat, einfach so, vor einigen Jahren, ganz ohne mich zu fragen. Ich hätte gewiss nicht nein gesagt, aber gefragt worden wäre ich schon gerne. So wie früher in der Grundschule. Willst du meine beste Freundin sein? Ja? Nein? Ein Vielleicht steht bei einer so wichtigen Frage gar nicht zur Debatte.
Die beste Freundin, die oft, jedenfalls öfter als ich, solche Sätze sagt, die schon so häufig gesagt worden sind, dass sie ausgewaschen, leer klingen, solche Sätze, dass Freundinnen doch eben dafür da sind - wofür, das erklärt sie nie näher - oder, dass sie nicht weiß, mit wem sie sonst reden könnte, ruft an.
Unsere Freundschaft basiert auf einem einfachen Prinzip: Wenn wir nichts voneinander hören, können wir davon ausgehen, dass es dem jeweils anderen gut beziehungsweise nicht schlecht geht. Wenn jemand Redebedarf hat, wird telefoniert. Meistens ruft sie an. So auch jetzt.

Sie redet. Sie erzählt. Von guten und nicht so guten Erlebnissen, von guten und nicht so guten Begegnungen, von Feiern. Den guten Feiern, schlechte gibt es bei ihr nicht. Feiern, bei denen ich nicht dabei sein konnte, meistens auch nicht dabei sein wollte. Ich höre zu. Höre zu, wie sie sich und mich fragt, ob sie sich in einer speziellen Situation nicht anders hätten verhalten sollen, besser, wie ich gehandelt hätte, will sie wissen. Sie wartet nicht auf eine Antwort von mir, das finde ich angenehm, ich höre lieber zu. Ich höre zu, wie sie laut denkt. Höre mit, denke mit. Höre leise, denke leise.
Die beste Freundin spricht über ihre Gefühle, ihre Gedanken, über alles, was sie beschäftigt. Völlig frei, völlig offen. Das mache ich selten, bisher habe ich darin nie eine Notwendigkeit gesehen. Ich mache die Dinge lieber mit mir selber aus. Das weiß sie, das akzeptiert sie, das schätze ich an ihr. Trotzdem möchte sie gerne meine Meinung hören. Meine Meinung zu was genau? Zu allem. Zu ihren Geschichten, ihren Gedankengängen. Obwohl ich gerne zuhöre, höre ich nicht immer zu. Bei ihren Erzählungen begeben sich meine Gedanken oft auf Wanderungen, ich weiß nicht wohin, vielleicht gehen sie ein paar alte, lang zurück liegende Erinnerungen besuchen, sie sind immer sehr schweigsam, wenn sie zurückkehren. Die beste Freundin merkt dann an meinen fehlenden Kommentaren, die ich ab und zu einwerfe, um sie wissen zu lassen, dass ich noch da bin, dass ich nicht mehr da bin. Manchmal bin ich woanders, weit weg, höre sie nicht mehr, kann nichts dafür. Anstatt wortlos aufzulegen, holt sie mich mit Fragen zurück, wartet, bis ich wieder ich bin, sie weiß immer, wann ich wieder ich bin, und beginnt erneut, lässt ein paar Kleinigkeiten weg, fasst das Wesentliche zusammen, kommt zu dem Punkt, weswegen sie anruft, zu dem ich mich äußern soll.

Meine Äußerungen fallen meist knapp aus, sehr knapp, alle anderen fänden mich unhöflich, sie nicht. Ich sage ihr meine Meinung, probiere, ein paar Ratschläge zu formulieren, fertig. Mehr fällt mir dazu nicht ein, im Moment nicht. Aber irgendwann, vielleicht in ein paar Tagen, vielleicht in einigen Wochen, in denen ich mir immer mal wieder Gedanken gemacht habe zu ihrem Gesagten, habe ich auch wieder etwas dazu zu sagen. Das weiß sie, darauf kann sie warten, damit kann sie leben. Sie weiß, dass meine Schweigsamkeit nicht als Desinteresse zu deuten ist, vielmehr als das Gegenteil. Sie weiß das, obwohl ich diesen Sachverhalt nie in Worte gefasst habe.

Jeder andere würde sich nach einem Telefonat mit mir vermutlich nicht wahrgenommen, nicht ernstgenommen, vielleicht sogar verletzt oder enttäuscht fühlen. Die beste Freundin tut das nicht. Sie ruft immer wieder an, ist an meine Sprachlosigkeit gewohnt, braucht sie manchmal vielleicht sogar. Deswegen ist sie meine beste Freundin, ich bin froh, dass sie sich selbst dazu gemacht hat.

Und wer weiß, vielleicht rufe ich sie eines Tages sogar an, um ihr genau dafür zu danken.


jack hanson am 04.Mai 12  |  Permalink
Sehr schön, aufrichtig und rührend!

ebee am 04.Mai 12  |  Permalink
Danke.

jack hanson am 04.Mai 12  |  Permalink
Du hast schon sehr vieles gesehen, auch so manches was du nie sehen wolltest, aber gerade das hat dich wachsen lassen.... das kann man bei deinen Texten dieser Art jedesmal sehen.

ebee am 04.Mai 12  |  Permalink
Sieht nicht jeder ständig etwas, was er lieber nicht sehen würde?

jack hanson am 04.Mai 12  |  Permalink
Nein, weil zu viele die Augen davor verschließen. Das erspart ihnen sich so manchen Schmerz, aber sie verlernen so auch, aufrecht durchs Leben zu gehen-sie treten auf der Stelle.

ebee am 04.Mai 12  |  Permalink
Und ich dachte immer, der Schmerz sorgt dafür, dass man immer gebeugter geht und letztendlich stehen bleibt.

jack hanson am 04.Mai 12  |  Permalink
Im Gegenteil, in den dunklen Momenten lernen wir zig mal mehr als wenn die Sonne scheint. Sie lassen uns reifen und wachsen. Sicher beugen sie uns immer wieder, aber wer sich dem stellt, richtet sich wieder und wieder auf-um so stärker zu werden als zuvor.

ebee am 04.Mai 12  |  Permalink
Nobody said it was easy.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Nicht? Schlecht!

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Nicht schlecht.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Vorab: bist du heute wieder nett oder nicht?

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Nett. Netter. Am Nettesten.

Und euphorisch, da ich es auf Anhieb geschafft habe, hier ein anderes Favicon einzubauen. :) Schon gesehen?
Bald kommt dann hoffentlich etwas Kreativeres.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Wahnsinn, ein rotes Quadrat.

Aber das passt zu dir, jawohl, wie die Faust auf's Auge. :-)

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Also bitte.
Das ist doch nur das Testbild.

Und inwiefern passt ein rotes Quadrat zu mir?

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Ein Testbild schaut anders aus, das wirst du ja wissen. :-)

Inwiefern es passt? Also die Farbe passt zumindest zu dem, was ich von dir kenne, bzw. was ich mit "rot" verbinde passt zu dir (auch wenn ich ja nicht mal weiß, mit wem ich es zu tun habe), und das Quadrat passt aber irgendwie auch.

Ein Kreis ist sauber, direkt, einfach, ein Quadrat aber hat Umwege, ist verschlossen, zuerst einmal abwehrend....

Wobei ich zugeben muss, dass diese Aussage in dem Kommentar zuvor nicht wirklich ernst gemeint war.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Der Begriff Testbild kann gewiss in diversen Situationen angewendet werden und ist bestimmt nicht nur für Fernsehtestbilder reserviert.

Aber du bringst mich auf eine Idee...

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Aha, ich sehe es schon. Wobei das Icon an sich, bzw. der Ausschnitt der darauf zu sehen ist, schaut aus wie ein Schwanenhals. Oder eine WC-Ente.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Nein nein, warte.
Ich bin gerade auf der Suche nach dem schönsten TV-Testbild und habe wieder eine wunderbare Seite entdeckt, schau mal: tv-testbild.com

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Ich schmeiß mich weg.:-) Die Seite ist aber nicht von dem... dem Dingens....dem... du weißt schon...wie hieß er nochmal?

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Ernst Frank? Frank Ernst? Der Schnauzbartträger, der seinen Schnauzbart verleugnet. ;-)

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Genau. Der dich duzt, ohne dass du ihm das "Du" angeboten hast und es dann- unverfrorener Weise- doch nicht tut und dich siezt!

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Hmpf.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Was haben wir jetzt da oben als Icon? Meine alten Augen können das nicht mehr zuordnen.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Ein Hmpf.
Und jetzt hab ich keine Lust mehr, bliebt eben das normale.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Ich fand den Schwan gut, und das Quadrat ebenso.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Ich werde noch ein wenig herumbasteln.

Und vielleicht auch dem Testbild-Mann bei Gelegenheit eine Mail schreiben. ;-)

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
In dem Fall bitte ich wieder um Nachricht ;-).

Und biete ihm entweder gleich das "Du" an oder schreibe ihm, dass du es bevorzugst mit dem formalen "Sie" angesprochen zu werden. :-D

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Er hat mich ganz klar zwischen den Zeilen herablassend geduzt. Das hatten wir doch schon geklärt. ;-)

tausendnull am 05.Mai 12  |  Permalink
Bin ich nicht da, unterhaltet ihr euch über ernste Sachen. Spricht nicht für meine Gesprächspräsenz. Gestern hat jemand zu mir gesagt, in allen meinen Gedichten und Texten wäre ein befremdliches Fehlen von Leben und Realitätsbezug. Das gab ihr zu denken. Und wenn sie noch was zum Schmerz sagen darf, glaubt sie, dass man erstaunlich viel davon abkann. Das liegt wohl daran, dass man die fatale Wirkung der Schmerzen manchmal überschätzt. In Wirklichkeit geht man so schnell nicht kaputt.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
"Zwischen den Zeilen herablassend geduzt..."... also wenn ich mich recht erinnere, lautete einer deiner letzten Sätze an dem Abend: "Ich glaube es geht zu Ende mit mir". :-)

Aber wenn du meinst, dann hat er das eben getan!

Ernste Sachen? Wir unterhalten uns doch nicht über ernste Sachen. Und ja, der Mensch hält mehr aus als er glaubt.

tausendnull am 05.Mai 12  |  Permalink
ja

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Sofern du magst, schick mir doch mal ein Gedicht oder einen Text, ich würde mich gern persönlich davon überzeugen, ob diese Einschätzung mit dem Fehlen von Leben etc. stimmt.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Wie können Texte leblos sein?

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Das sind sehr viele. Texte denen die Seele fehlt, die nur aus Worthüllen bestehen die man schon tausend Mal gehört hat....denk nur mal an die Lieder eines DSDS Gewinners, die haben keinerlei Leben in sich, drücken nichts aus und sind nur Mittel zum Zweck.

tausendnull am 05.Mai 12  |  Permalink
Leblos ist vielleicht zu krass. Er meinte, dass menschliche Aspekte fehlen. Sie sind abstrakt und handeln von anderen Texten, Worten und Sprache, aber eigentlich ist die Welt leer.

jack hanson am 05.Mai 12  |  Permalink
Wie gesagt, eine Kostprobe würde mich interessieren.

Gute Nacht die Damen, und Frau Null, zerbrich dir nicht den Kopf.;-) Du wirkst gerade irgendwie geknickt, sofern ich mich da täusche, auch gut.

tausendnull am 05.Mai 12  |  Permalink
Jackensohn, ich poste eine auf meinem blog, aber ich lösche sie in den nächsten Tagen wieder. Eigentlich sind das Texte, die ihr Schubladendasein ganz ok finden.

ebee am 05.Mai 12  |  Permalink
Ich bin gespannt.

Manchmal würde ich auch gerne in einer Schublade leben.

tausendnull am 05.Mai 12  |  Permalink
Nein, ich bin eigentlich nicht geknickt. Ich bin einfach so. Vielleicht ist da irgendwo ein Knick, aber der gehört dann dazu. :-)
Naja so spannend ist es ja auch nicht, mein blog ist ja nun auch nicht der Hort der Unabstraktion.