Fingerfood heißt so, weil man es mit den Fingern isst. Mundgerechte Portionen, schön anzusehen, einfach zu handhaben, buchstäblich von der Hand in den Mund, Teller und Besteck sind überflüssig.

Warum überfällt mich dann immer, wenn ich ein Tablett mit den sorgfältig angerichteten Häppchen sehe, die kalte Angst?
Weil es für mich schlichtweg unmöglich zu sein scheint, das Fingerfood problemlos zum Mund zu führen.
Problemos, so wie alle anderen das auch schaffen: Ohne, dass etwas herunterfällt. Ohne, dass der Cracker durchbricht. Ohne, dass das mühevoll zubereitete Kleinkunstwerk lädiert wird. Wenn ich es dann endlich unter höchster Konzentration mit der Hand vor meinem Mund halte, fangen die wirklichen Schwierigkeiten erst an: Wie gelangt der Happen nun am Besten in meinen Mund, der viel zu klein zu scheint? Horizontal? Vertikal? Diagonal?
Wenn ich, was das einfachste wäre, versuche, abzubeißen, um die Portion dadurch zu halbieren, riskiere ich, dass die Hälfte, die sich noch nicht in meinem Mund befindet, sich selbstständig macht und sich auf meiner Kleidung ausbreitet.
Wenn ich indes versuche, die Portion auf einmal in den Mund zu nehmen, wie es ja eigentlich vom Zubereiter beabsichtigt ist, könnte es sein, dass ein trockener Krümel oder ein Gemüsefitzelchen dafür sorgt, dass ich mich verschlucke, rot anlaufe, huste und sich diesmal der gesamte Inhalt auf der Kleidung der Umstehenden ausbreitet. Was besonders lästig ist, da Fingerfood nunmal sehr gerne auf Hochzeiten, Geburtstagen oder anderen Empfängen, wo die Gäste in Sonntagsgaderobe erscheinen, gereicht wird.

Was bleibt mir also übrig, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt, mit Fingerfood in Berührung zu kommen? Mittlerweile habe ich gelernt, mich meinen Ängsten zu stellen. Aber nicht ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen. Wenn ein silbernes Tablett mit den verführerisch aussehenden Häppchen vorbeischwebt, die nur darauf aus sind, mich bloßzustellen, lehne ich galant, aber bestimmt ab und warte, bis sich das Tablett, nachdem alle anderen Gäste versorgt sind, auf einem Tisch abstellt.
Nun kommt meine Chance: Betont lässig, aber aus den Augenwinkeln kontrollierend, ob mich auch niemand beobachtet, schlendere ich zu dem Tablett. Behutsam nehme ich den Happen, der mir am stabilsten, also am harmlosesten, erscheint, in eine Hand. Dann suche ich mir einen Tisch, denn Fingerfood im Stehen verzehren zu können, wie manche andere Leute, denen meine volle Verehrung gilt, wird wohl auf ewig einer meiner unerfüllten Träume bleiben. Aber ich suche mir nicht irgendeinen Tisch. Zuerst prüfe ich jeden einzelnen Tisch sorgfältig auf die Anzahl der vorhandenen Servietten, dann setze ich mich an den, auf dem die meisten liegen. Vorausgesetzt, es sitzen nicht zu viele Leute daran, die mir zusehen, mich verunsichern, mich ablenken könnten.

Wenn ich einen Platz gefunden habe, lege ich eine Serviette vor mich und stelle den Fingerfood-Happen vorsichtig darauf ab. Dann nehme ich noch eine Serviette, falte sie auf breite sie auf meinem Schoß aus. Dann noch eine letzte Serviette, die ich mir in den Kragen stecke. Sozusagen die elegante Version eines Lätzchens, falls es so etwas überhaupt geben kann.
Nun bin ich gewappnet: Drei Servietten gegen diese halbe Portion. Meine Angst schwindet, ich fühle mich stark. Trotzdem handele ich nicht zu voreilig. Vielmehr gehe ich, bevor ich den Kampf aufnehme, nochmal in mich. Ich meditiere fünfzehn Minuten lang, sage mein Mantra auf, dann geht's los.
Manchmal gewinne ich, meistens das Fingerfood. Aber ich werde nicht aufhören, an mich zu glauben. Ich weiß, ich kann das schaffen. Und jedes Mal, wenn ich es geschafft habe, dass das Essen nicht auf meiner Kleidung, sondern in meinem Magen gelandet ist, fühle ich mich euphorisch, triumpherfüllt und glücklich.
Was aber auch daran liegen kann, dass ich während dieser ganzen Prozedur das ein oder andere Glas Sekt auf leeren Magen getrunken habe.

Ach, was soll's. Anlässe, wo Sekt und ach so praktisches Fingerfood gereicht wird, sind ohnehin meistens so gerade eben noch unter meiner selbst aufgestellten Spießigkeitsgrenze.

Auf meiner Hochzeit wird es kein Fingerfood geben. Sondern nur Sekt. So einfach ist das.

So einfach? Hatte ich schon erwähnt, dass ich es enorm schwierig finde, ein volles Glas von einem Tablett zu nehmen ohne dabei nicht mindestens ein halbes Dutzend anderer voller Gläser mitzureißen?
Aber das ist ein anderes Thema.


tomm tiefer am 03.Dez 11  |  Permalink
es empfiehlt sich sekt aus einer mass bier. also sekt-mass-krüge. sind enorm handlich, stabil, und es passen nur wenige auf ein tablett

ebee am 04.Dez 11  |  Permalink
Solange ich dabei nicht im Dirndl auftreten muss, klingt es nach einer brauchbaren Idee.