Warteschlange
an der Supermarktkasse. Hinter mir unterhalten sich ein junger Mann und eine junge Frau, die gemeinsam eingekauft haben. Er spricht nicht unbedingt lauter als nötig, aber doch auf eine Art und Weise, bei der man vom Unbeteiligten zum Zuhörer werden muss. Sie antwortet immer kurz und in gedämpftem Ton, vielleicht in der Hoffnung, dass er merkt, dass er nicht bei sich zu Hause, sondern in einem Supermarkt ist. Seine folgenden Worte lassen mich aufhorchen:

Er: Ist das da vorne ein junger Mann oder eine Lesbe?
Sie: Ein junger Mann.

Ich schaue mich um und frage mich, über wen sie reden. Die einzige Person, die ich entdecke und die in Frage kommt, ist tatsächlich ein Mann, aber im Vergleich zu den beiden hinter mir wäre er nicht mal mehr ansatzweise jung zu nennen. Außerdem hat er eindeutig einen Bart, was die geäußerte Frage also überflüssig machen würde. Vielleicht ist es die Frisur des Mannes, die den Jungspund hinter mir sich solche Fragen stellen lässt: Er hat einen dieser Männerdutts, die man mittlerweile sogar als Haarteil kaufen kann, und dazu einen Undercut. Geschmackssache. Aber doch sicher keine Frisur, die einen Mann zur Lesbe werden lässt. Ich bin irritiert. Doch dazu ist kaum Zeit, denn es geht weiter im Text. Abrupter Themenwechsel.

Er: Ich glaube, wir haben uns an die falsche Kasse gestellt. Der bei uns wird noch eingearbeitet. Die nebenan ist viel schneller.
Sie: Mh.
Er: Was mir noch eingefallen ist: Haben wir noch Nudelplatten?
Sie: Ja, haben wir noch.

Pause

Er: Oh, liegt aber wenig Alkohol auf dem Band. Ich mein, wenig für hiesige Verhältnisse.
Sie: Ist noch zu früh wahrscheinlich. Das kommt erst später.
Er: Da vorn hat grad jemand seinen Schnaps getrunken, pünktlich zum Mittag. Aber sonst, nee, echt wenig Alkohol. Bei den ganzen Alkis hier.

Zwei Plätze weiter vorn in der Schlange, legt ein Mann zwei Flaschen Bier aufs Band.

Er: Ah, da haben wir’s ja schon. Na ja. Bist du sicher, dass wir noch Nudelplatten zu Hause haben?
Sie: Jaha.
Er: Schönen Adventskranz hast du ausgesucht. Gab’s auch noch andere?
Sie: Ja, noch welche mit rot, aber die waren nicht schön.
Er: Ja nee, ich glaub, rot passt auch nicht so rein bei uns.
Sie: Mh.
Er: Wo willst du den dann hinstellen?
Sie: Auf den Tisch.
Er: Ja, das hab ich mir auch schon überlegt. Da, wo jetzt noch die Obstschale steht, ne? Das passt, ist ja beides rund.

Pause

Er: Was sind denn Clou-Artikel?
Sie: Hm?
Er: Steht da: Aufgrund des Feiertags am Mittwoch sind die Clou-Artikel schon ab Dienstag erhältlich.
Sie: Ich glaub, das sind so kleine Kuscheltiere. Oder Schnuller. Was für Babys halt.
Er: Aha.

Tatsächlich gemeint war vermutlich das Supersondersortiment aus dem aktuellen Werbeblättchen.

Er: Was ist da vorne passiert? Warum stehen die da?

Zwei Mädels, die schon bezahlt haben, bleiben direkt hinter der Kasse stehen und kichern sich vor dem Azubi-Jüngling-Kassierer einen zurecht.

Sie: Denen ist was runtergefallen und kaputtgegangen.
Er: Was sie schon bezahlt haben? Wie ärgerlich. Aber warum warten die?
Sie: Vielleicht wollen sie ne neue Sahne.
Er: Aber die haben das doch fallen lassen.
Sie: Kriegt man trotzdem ne neue.
Er: Ach so.

Letztendlich wissen die beiden Mädels wohl selbst nicht, warum sie noch da stehen. Eine neue Sahne ist nicht in Sicht, nur die Fluppe der Supermarkt-Angestellten, die sofort eine Auszubildende zum Aufwischen schickt. Die Mädels fragen den Azubi-Jüngling, ob sie gehen dürfen. Dürfen sie.

Bevor ich selbst auch gehe und das Gespräch hinter mir auch dort lassen kann, fällt mir auf, dass der Kunde vor mir sowie der Kunde an der Nebenkasse nahezu zeitgleich jeweils nur eine Topfblume kaufen. Der Mann an der Nebenkasse in Handwerkerklamotten hat vielleicht den Auftrag seiner Frau bekommen, in der Mittagspause unbedingt eine Topfblume zu ergattern, wurde erledigt. Der Mann vor mir freut sich gemeinsam mit dem Azubi-Jüngling, dass er die letzte der Sorte, die er haben wollte, abbekommen hat. Er hat sie vorsichtig in eine Tüte gepackt und freut sich noch mehr, als er hört, dass sie weniger kostet als erwartet. So kann er etwas von dem abgezählten Geld zurück in seine Hosentasche stecken. Leise freue ich mich mit ihm.

Ausgleich genug für das Mithören dieser absurden Unterhaltung. Selten habe ich befürchtet, durch bloßes Zuhören zu verdummen. Selten habe ich so eine kuriose Mischung aus Naivität, Vorurteilen, Lasagne und Inneneinrichtung erlebt. Selten habe ich den Drang, mich in Gespräche Fremder einzumischen. Heute hätte ich mich gerne umgedreht und gefragt, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen. Pärchen? Geschwister? Mitbewohner? Oder aber ich hätte ganz provokativ drei Pullen vom billigsten Schnaps zu meinen Einkäufen dazu gepackt und damit ihre kleine Welt erschüttert.