Sonntag, 12. Mai 2013
Wirklich wahr
Heute habe ich gelernt:
Wie es sich anfühlen muss, unter Mordverdacht zu stehen und dementsprechend behandelt zu werden.
Dass ich einen fast ungesunden Respekt vor Autoritätspersonen habe, auch wenn sie unfreundlich und keine Autorität sind.
Dass ich mit unerwarteten Situationen alles andere als souverän umgehen kann.
Dass Kaufhausdedektive wirklich so lächerlich sind, wie man immer denkt.


Und das kam so:
Ich trete aus dem Supermarkt, der mir viel zu groß ist, und bin froh, dass ich den Einkauf hinter mich gebracht und meine Orientierung wiedergefunden habe.
Ein Mann steuert zielstrebig auf mich zu, bleibt vor mir stehen und nuschelt etwas. Ich überlege, ob ich heute in der Laune dazu bin, nett fragenden Leuten Kleingeld zu geben, merke, dass das der Fall ist, und fange an, nach Münzen zu suchen.
Der Mann hält mir ein Stück Papier unter die Nase, ich schaue auf und ihn verwirrt an. Wenn er kein Kleingeld will, was will er dann? Er murmelt erneut leise vor sich hin.
Ich, beschließend, dass dies kein Moment für ein 'Wie bitte?' ist, er könnte ja auch einfach mal laut und deutlich sprechen: Was?
Er: Murmelmurmelmurmel (vermutlich der Name), Kaufhausdedektiv. Hier ist mein Ausweis (er deutet auf das vergilbte Stück Papier).
Ich verstehe immer noch nicht, was er von mir will, und warte.
Er: Einmal mitkommen.
Wir stehen vor einer Tür mit der roten Aufschrift "Betreten verboten".
Er: Wir warten nur noch auf meine Kollegin.
Die Kollegin kommt und wir drei gehen durch die verbotene Tür, ich ganz vorne, das stört mich.
Er: Nach links und dann nach rechts.
Ich gehe nach links und bleibe stehen. Soll er doch vorgehen.
Er: Nach rechts!
Wir stehen vor einer schweren Metalltür, er schließt sie auf, wir kommen in einen abgedunkelten, ziemlich unordentlichen Raum mit vielen flimmerden Monitoren.
Sie sagt etwas in einer fremden Sprache zu mir.
Ich raffe, dass er wohl denkt, dass ich kein Deutsch kann und wir deshalb auf die Dolmetscherin gewartet haben.
Ich: Ich spreche Deutsch.
Er: Gut. Packen Sie doch mal ihren Beutel aus. Und dann können Sie mir auch gleich den Kassenbon zeigen.
Ich bin eingeschüchtert von diesem unfreundlichen Mann und gleichzeitig genervt. Ich habe das Eingekaufte mit System in den Beutel gepackt und mir passt es gar nicht, mein Werk jetzt wieder zu zerstören. Ich lege die Einkäufe auf eine Ecke des Schreibtischs, den einzigen freien Platz im Raum.
Er: Was meinen Sie, warum es Einkaufswagen oder Einkaufskörbe gibt? Ich habe gesehen, wie Sie Sachen in Ihre Tasche gepackt haben. Stellen Sie sich mal vor, alle würden das machen. Dann müsste ich jeden einzelnen kontrollieren.
Ich denke: Passen Sie auf, dass Sie sich nicht überarbeiten.
Ich sage nichts.
Er: Sie brauchen sich jetzt gar nicht aufregen. Kann ja jeder kommen und mit einem Stoffbeutel durch den Laden gehen.
Ich denke: Wer regt sich hier auf? Geht es hier wirklich nur um meinen Leinenbeutel?
Ich sage nichts.
Er hat mittlerweile den Beutelinhalt mit dem Kassenbon abgeglichen: Und jetzt noch Ihre Umhängetasche.
Ich denke: Ich will die Bahn noch kriegen, du Idiot. Macht es dir Spaß andere zu schikanieren?
Ich sage: Da sind Einkäufe aus einem anderen Geschäft drin.
Er: Trotzdem.
Ich packe auch die zweite Tasche aus und nach der Bonkontrolle wieder ein.
Er: Sie waren doch auch bei den Spirituosen, nicht wahr?
Ich denke: Darum geht's also. Er glaubt, ich hab Alkohol geklaut.
Ich sage: Ja. Habe ich aber wieder zurück gestellt, brauchte ich doch nicht.
Er deutet auf den blauen Leinenbeutel: War ihre Tasche, als Sie im Laden waren, nicht schwarz?
Ich: Nein.
Er: Dann ist nur auf der einen Seite das Muster.
Ich zeige zur Bestätigung beide Seiten des Beutels und denke: Messerscharf kombiniert, Sherlock.
Ich sage: Mh.
Er: Beim nächsten Mal dann mit Einkaufswagen.
Ich denke: Es wird kein nächstes Mal geben.
Ich sage nichts.
Er: Sie können dann gleich hier vorne raus gehen. Die Tür geht nach innen auf.
Ich denke: Ich weiß. Auf der Tür steht 'Ziehen', ich kann lesen.
Ich sage nichts und gehe.